Die Nacharbeit in der Luft- und Raumfahrt sowie im Verteidigungsbereich überdenken
Jedes Luftfahrt- und Verteidigungsprogramm hat zum Ziel, Fehler vollständig zu vermeiden. Dieses Ziel ist zwar wichtig, aber jeder in der Branche weiß, dass es immer zu Abweichungen und unerwarteten Herausforderungen kommen wird. Deshalb gibt es Nacharbeiten.
Anders als in weniger stark regulierten Branchen, wird Nacharbeit in der Luftfahrt und der Verteidigung nicht auf die leichte Schulter genommen. Jedes Detail wird aufgezeichnet. Wenn ein Bauteil berührt wird, wird das schriftlich dokumentiert und jeder – von den Aufsichtsbehörden bis zum Kunden- erwarten, dass diese Spur vorhanden ist.
Das Problem ist nicht nur, dass Nacharbeit dokumentiert wird. Vielmehr geht es darum, was mit diesen Informationen geschieht. In vielen Unternehmen schließen Aufzeichnungen über Nacharbeit eine Compliance-Lücke, erfüllen eine Zertifizierungsanforderung oder erklären eine Kostenabweichung. Was jedoch oft nicht geschieht, ist die Einbeziehung dieser Daten in die Produktions- oder Designstrategie. Das ist eine verpasste Chance. Um diese Lücke zu schließen, reicht es nicht aus, NCRs (Nichtkonformitätsberichte) zu sammeln. Es bedarf Systeme, die Ereignisse in der Fertigung mit Design-, Lieferanten- und Programmdaten im Kontext verknüpfen.
Nacharbeit als Feedback
Testpläne, Simulationen und Belastungsanalysen spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Realität in der Produktion zeigt jedoch oft Dinge, die kein Modell vollständig vorhersagen kann. Eine Charge von Befestigungselementen, die den Spezifikationen entspricht, kann sich dennoch je nach Lieferant unterschiedlich verhalten. Eine Verbundplatte, die die Prüfung besteht, kann bei bestimmten Laminierverfahren höhere Nacharbeitsraten aufweisen. Diese Signale sind in den Nacharbeitsprotokollen sichtbar, lange bevor sie als Fehler in der Praxis auftreten. Wenn diese Protokolle mit Lieferanten- und Prozessdaten integriert werden, werden sie zu Frühwarninformationen und sind nicht mehr nur isolierte Aufzeichnungen.
Untersuchungen stützen diese Aussage. PwC (PricewaterhouseCoopers) hat herausgefunden, dass weniger als ein Drittel der Luftfahrt- und Verteidigungsunternehmen Daten zu Nacharbeiten und Reparaturen systematisch nutzen, um Verbesserungen bei Lieferanten oder im Design voranzutreiben1. Die ASQ (American Society for Quality) hat dasselbe Problem festgestellt und darauf hingewiesen, dass die Meldung von Nichtkonformitäten zwar gründlich erfolgt, die Rückmeldungen an die Technik jedoch uneinheitlich sind2. Das Ergebnis: es werden zwar nützliche Daten erfasst, aber diese fließen jedoch nicht immer in die Strategie ein. Der Unterschied liegt darin, ob Reparaturaufzeichnungen isoliert gespeichert werden oder ob sie in einen vernetzten digitalen Thread einfließen, auf den die Konstruktions- und Lieferkettenteams reagieren können.
Der Faktor Mensch
Ein weiterer Aspekt sind die Mitarbeiter, die die Nacharbeit leisten. Luftfahrt- und Verteidigungsbetriebe sind auf Schweißer, Techniker und Ingenieure angewiesen, die Probleme lösen können, die andere nicht bewältigen. Das Problem ist, dass die Arbeitsbelastung ungleichmäßig verteilt ist. In einem Monat sind sie überlastet, im nächsten Monat warten sie auf das nächste große Projekt. Ein solcher Zyklus zehrt an den Mitarbeitern.
Hier kann Nacharbeit helfen. Sie hält Teams während der ruhigeren Phasen beschäftigt und motiviert. Rund 20% der Beschäftigten in der Luft- und Raumfahrt könnten in fünf Jahren wegfallen3. Bis zum Ende dieses Jahrzehnt werden Millionen von Stellen unbesetzt bleiben4. Jetzt noch die vorhandenen Fachkräfte zu verlieren, hätte verheerende Folgen. Strukturierte digitale Reparaturprozesse können auch das Wissen erfahrener Mitarbeiter erfassen und es an die nächste Generation weitergeben, wenn diese in die Branche einsteigt.
Nachhaltigkeit und Compliance
Defekte Baugruppen in der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie zu verschrotten, war noch nie die bevorzugte Vorgehensweise. Die Bauteile sind zu teuer, die Vorlaufzeiten zu lang und die Auflagen zu streng, als dass dies ein routinemäßiges Vorgehen sein darf. In der Vergangenheit konnten einige Hersteller jedoch eine defekte Einheit durch neues Material ersetzen, wenn dies wirtschaftlich vertretbar war. Das lässt sich heute immer schwerer rechtfertigen.
Regierungen schreiben die Reparaturfähigkeit gesetzlich vor5. Die Aufsichtsbehörden beginnen, im Design nach Reparaturpraktiken zu suchen. Auch den Kunden wird Recycling und Wiederverwertbarkeit immer wichtiger. All diese Überlegungen beinhaltet Nacharbeit. Wenn die Quelle und der Zustand eines Bauteils bekannt sind, kann entschieden werden, ob es wieder in Betrieb genommen werden oder zumindest noch etwas Nützliches daraus hervorgehen kann. Dabei geht es nicht nur um die Einhaltung von Vorschriften. Sie reduziert Abfall und stärkt die Nachhaltigkeitskennzahlen, deren Nachweis Kunden heute von ihren Lieferanten verlangen. Dieses Maß an Transparenz hängt von Systemen ab, die Materialien über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg verfolgen, nicht nur zum Zeitpunkt der Inspektion.
Das GAO (Government Accountability Office) hat ebenfalls darauf hingewiesen und betont, dass das Fehlen von Reparaturrückmeldungen in die Konstruktion einer der Gründe für die hohen Unterhaltskosten in großen Verteidigungsprogrammen ist6. Dieses Problem endet nicht auf dem Shop-Floor. Es erstreckt sich über Programme und Flotten.
Daten als Wegbereiter
Um diesen Mehrwert zu erschließen, sind Systeme erforderlich. Es reicht nicht aus, dass sich ein Ingenieur daran erinnert, dass eine Schweißnaht gerissen ist oder eine Befestigung nicht gepasst hat. Die Informationen müssen mit Konstruktionsunterlagen, Lieferantendaten und der Prozesshistorie verknüpft werden. Hier kommen MES (Manufacturing Execution System)-Plattformen ins Spiel. Ein gutes System meldet nicht nur, was fehlgeschlagen ist. Es verbindet die Punkte miteinander. Es zeigt, dass die Chargennummer eines bestimmten Lieferanten vermehrt zu Reparaturen führt. Oder dass ein bestimmtes Maschinenprogramm eine subtile Abweichung erzeugt, die erst bei der Endmontage sichtbar wird.
Ohne diese Verbindung erscheint Nacharbeit störend. Mit dieser Verbindung wird die Nacharbeit zu einer Landkarte, die auf Schwachstellen im Design, dem Prozess oder der Wertschöpfungskette hinweist. Diese Landkarte gibt es aber nur, wenn die Daten aus Maschinen, von Materialien und aus Prozessen an einem Ort erfasst und im Zusammenhang verstanden werden.
Strategie, kein nachträglicher Einfall
Bei der Nacharbeit geht es nicht nur darum, Bauteile zu reparieren. Sie kann ein Feedback-Kreislauf sein, eine Möglichkeit, die Mitarbeiter auf Trab zu halten, und ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Sie kann sogar eine Umsatzchance sein. Wenn Nacharbeit nur als Compliance-Anforderung behandelt wird, treten die gleichen Probleme immer wieder auf, die Kosten steigen und die Kunden verlieren die Geduld. Das Gegenteil ist der Fall, wenn Nacharbeitsdaten genutzt werden, um Feedback an die Technik, Verbesserungen bei den Lieferanten und die Nachhaltigkeitsplanung voranzutreiben. Diese Unternehmen reduzieren Ausschuss und wiederholte Fehler, binden qualifizierte Mitarbeiter und bauen eine stärkere Zuverlässigkeit und das Vertrauen der Kunden auf.
Die Kosten sind nicht gering. Interne Ausfallkosten wie Nacharbeit und Ausschuss können in der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie 4 bis 6 Prozent des Jahresumsatzes verschlingen7. Auf der anderen Seite machen Aftermarket-Dienstleistungen wie Reparatur und Wartung bereits fast die Hälfte des Branchenumsatzes aus8. Unternehmen, die sich mit der Einhaltung von Vorschriften begnügen, verpassen sowohl die Chance, Kosten zu senken, als auch die Chance, langfristige Servicegeschäfte zu gewinnen. Diejenigen, die sich durchsetzen, sind diejenigen, die Nacharbeit als Teil einer vernetzten Strategie einsetzen, unterstützt durch Datensysteme, die sowohl die Produktion als auch die Instandhaltung unterstützen.
Betrachtet man mehrere Jahre, wird das Muster deutlich. Diejenigen, die Nacharbeit als Strategie betrachteten, setzten sich durch. Diejenigen, die sie ignorierten, fielen zurück.
Abschließende Gedanken
Nacharbeiten werden in der Luft- und Raumfahrt sowie in der Verteidigungsindustrie wohl nie ganz verschwinden. Die Systeme sind sehr komplex und es steht viel auf dem Spiel. Entscheidend ist, welche Rolle Führungskräfte den Nacharbeiten beimessen.
Werden sie als Aufräumarbeiten betrachtet, kosten sie weiterhin Geld und beeinträchtigen die Arbeitsmoral. Werden sie als Strategie gehandhabt, können Nacharbeiten Kosten senken, die Einhaltung von Vorschriften unterstützen, Ingenieuren bedeutende Arbeit geben und Möglichkeiten für Service und Wartung schaffen. In vielen Unternehmen wird sie jedoch nach wie vor nur als Kennzahl betrachtet, die es zu senken gilt, und nicht als Information, die das Design oder die Lieferung beeinflussen könnte. In anderen Unternehmen ist sie zu einem Motor für Verbesserungen geworden. Der Unterschied liegt in der Führung. Wenn Nacharbeit als Teil der digitalen Infrastruktur betrachtet wird, schafft sie einen Mehrwert. Wenn sie isoliert betrachtet wird, verursacht sie weiterhin Kosten. Diese Entscheidung wird sowohl die heutigen Margen als auch die morgige Position auf dem Markt beeinflussen.
Quellen
- PwC Aerospace & Defense “Cost of Quality” Analysis (2019)
- ASQ Aerospace Division Cost of Quality Study (2020)
- Aerospace Industries Association Workforce Study (2022)
- Deloitte Manufacturing Workforce Report (2023)
- EU Right-to-Repair Directive (2024); U.S. state-level right-to-repair legislation; DoD contract repairability provisions (2024–2025)
- GAO Report: F-35 Sustainment: DOD Needs a Strategy to Address Growing Costs and Increasing Maintenance Issues (2022)
- PwC Aerospace Manufacturing Benchmark (2019)
- PwC Global Aerospace and Defense Outlook (2021)
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