Kranke Menschen sind mitten unter uns

Von:

Michael Ford, Sr. Director Emerging Industry Strategy, Aegis Software

Ein negativer Aspekt unseres Menschseins ist die bittere Erkenntnis, dass nicht jeder ein “Team Player” ist. Dies wiegt umso schwerer in einer Krisenzeit, in der die gesamte Menschheit gefordert ist. Ob es nun um die Herstellung und Bereitstellung wichtiger medizinischer Geräte, wichtiger Branchenprodukte oder auch um Software geht: wir müssen uns alle mit dem möglichen Einfluss „schwarzer Schafe“ auseinandersetzen und uns auf die Effizienz des Grundsatzes „Mach’s gleich beim ersten Mal richtig“ konzentrieren. Denn es wird Konsequenzen haben, wenn wir dies nicht tun.

Mitten im Höhepunkt der Covid-19 Pandemie erfahren wir von Menschen, welche die Gelegenheit nutzen, um aus dieser Situation für sich Kapital zu schlagen, indem sie gefälschte medizinische Güter und Verbrauchsmaterialien zu völlig überteuerten Preisen an verzweifelte Kunden veräußern. Und das ist noch nicht einmal der schlimmste Charakterzug, den diese Menschen hier an den Tag legen. Es gibt genug Infizierte, die durch unsere Supermärkte laufen und denen es völlig gleichgültig ist, ob sie die Krankheit weitergeben. Abgesehen von meiner persönlichen Erfahrung, die ich in der letzten Zeit damit machen musste, zeigen uns auch die Fallzahlen, dass dies zwangsläufig so sein muss. Man kann im Durchschnitt davon ausgehen, dass die Hälfte der Menschen sich nicht verantwortungsvoll verhält. Wenn man nun die gesamte Weltbevölkerung in Betracht zieht, dann ist auch der kleinste Prozentsatz dieser Unverantwortlichen große genug, um immensen Schaden anzurichten.

Nicht alles geschieht jedoch rein aus böser Absicht. Die Lektion, die ich als junger Software-Entwickler vor vielen Jahren gelernt habe, ist, dass die größten Bemühungen bei der Entwicklung von Software darauf gerichtet sind, dass ein System von Menschen genutzt wird, die keine Ahnung von dem haben, was sie eigentlich machen. Zur falschen Zeit die falsche Taste zu drücken oder eine Dateneingabe zu machen, die keinen Sinn ergibt, sollte nicht zu einem Ausnahmefehler oder zu Datenkorruption führen. Wenn ein System falsch bedient wird, handelt es sich dabei fast immer nur um ein Versehen. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen viel Aufwand betrieben wurde, um das Eingabefeld in einem einfachen Webbrowser so zu überlasten, um auf diese Weise Zugriff zu erhalten, um die Software selbst zu ändern. Ich persönlich bin der Auffassung, dass alle Fälle, in denen so etwas passieren kann, auf schlampige Programmierung zurückzuführen ist, aber nicht jede Software wird gleich entwickelt. In meinem Fall war die Entwicklung von Software zumindest eine großartige Lektion fürs Leben.

Wir haben es sowohl in der Fertigung als auch in der Lieferkette im gleichen Umfang mit diesen potentiellen Problemen zu tun, was der Pharmaindustrie und der Medizinbranche große Sorge bereitet, da die Produktion wichtiger Prüfgeräte, Bausätze und persönlicher Schutzausrüstungen schneller hochgefahren wird, als es in einer normalen Welt jemals zu erwarten gewesen wäre. Das wahre Problem ist allerdings noch viel weitreichender. Tatsache ist, dass Tests auf das Coronavirus und potenziell jede Behandlung oder Heilmethode wahrscheinlich recht schnell eingeführt werden wodurch die Chancen auf einen ordentlichen Abschluss klinischer Studien geringer sein werden. Selbstverständlich basiert jede diesbezügliche Entscheidung auf einer ausführlichen Risikoanalyse, welche genau die Gefahr, Maßnahmen zu früh einzuleiten gegen die Gefahr abwägt, Maßnahmen zu spät einzuleiten. Auf welche Maßnahme man sich dann schlussendlich einigt, man wird die Wirksamkeit dieser Maßnahme und aller möglichen Konsequenzen sofort und mit chirurgischer Präzision verfolgen müssen. Hierbei ist zwingend notwendig, dass man die Herkunft jedes eindeutig identifizierbaren Test-Sets oder Medikamentengebindes in Bezug auf dessen Fertigung und Lieferkette kennt, um ein unmittelbares Feedback aller Ergebnisse geben zu können. An dieser Stelle kommen die “schwarzen Schafe“ ins Spiel. Man muss davon ausgehen, dass “gefälschte” Tests und Medikamente hergestellt werden, die sogar auf den ersten Blick zu wirken scheinen, allerdings nur ein unzuverlässiges Ergebnis anzeigen oder größere Nebenwirkungen haben. Natürlich müssen wir in erster Linie sicherstellen, dass die Herstellung derartig gefälschter Produkte per se verhindert wird und auf den Markt gelangt. Aber wir dürfen in einem zweiten Schritt auch nicht zulassen, dass die Ergebnisse dieser falschen Tests und Medikamenten die Ergebnisse der echten Tests oder Medikamente verfälscht. Denn basierend auf diesen Ergebnissen werden in Echtzeit lebenswichtige Entscheidungen getroffen.

In diesem Szenario kommt uns allen in der Fertigung eine Schlüsselrolle zu. Es kann nämlich durchaus passieren, dass diese “Fälschungen” ausgerechnet aus unserer eigenen Fabrik kommen und nicht nur von irgendwoher. Immer wieder kommen abgelehnte Auftragslose von Materialien und aus Testfehlern irgendwie als Endprodukte auf den Markt. Selbstverständlich gibt es bei der Produktion im medizinischen Bereich sehr viele Standards, die es zu beachten gilt. Aber wie strikt werden diese eingehalten, wenn der Druck rechtzeitig zu liefern über Leben und Tod entscheidet, neue medizinische Produktionsstätten wie Pilze aus dem Boden schießen und es zusätzlich noch die bereits erwähnten schwarzen Schafe gibt?

Die einzige Lösung liegt darin, den Fertigungsprozess vollständig zu formalisieren, mit sicherer, effektiver und exakter Rückverfolgbarkeit von Materialien, Handlungen und Prozessen, im besten Falle automatisiert gepaart mit persönlicher Rechenschaftspflicht. Es kann nicht die Lösung sein, mehr Menschen in diese Prozesse einzubinden, da uns dazu zum einen die Zeit fehlt, um adäquate Schulungen durchzuführen und Erfahrungen zu sammeln, die “Ressource Mensch” begrenzt ist und wir uns vielleicht wieder schwarze Schafe mit an Bord holen würden. Natürlich gehen wir nicht davon aus, dass in unseren kritischen Fertigungsumgebungen die schlechtesten Beispiele arbeiten, aber es wird unter uns Menschen geben, die wirklich glauben, dass sie ihr Bestes geben, während sie in Wirklichkeit den Output negativ beeinträchtigen. Dies trifft in besonderem Maße auf die bewundernswerten Unternehmen zu, die ihre Tätigkeiten bereits angepasst haben, um die Nachfrage nach medizinischen Produkten bedienen zu können und die der Auffassung sind, sie seien mit den jeweiligen Anforderungen an die betreffenden gesetzlichen Bestimmungen soweit vertraut, die jedoch neu auf dem vertikalen Markt sind.

Eine systematisierte Rückverfolgbarkeit muss sich von den Rohmaterialien bis hin zum Verbrauchsort des Produkts oder des hergestellten Gerätes erstrecken und zwar dergestalt, dass Verantwortlichkeiten eindeutig und fehlerfrei zugewiesen werden können und die Risiken minimiert werden, das gefälschte Produkte und Materialien in die Hände von Menschen gelangen, die dringend medizinische Hilfe benötigen. Es gibt bereits moderne digitale MES-Systeme und Lieferkettentechnologien, die diesen Anforderungen entsprechen. Allerdings werden sie im medizinischen Fertigungsbereich leider noch nicht in dem Umfang eingesetzt, den man sich unter diesen Umständen wünschen würde. In der aktuellen Situation und auch für zukünftige Szenarien muss sich das unbedingt ändern. Wir müssen als Menschen manchmal vor uns selbst geschützt werden.

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